Westfälische Rundschau vom 17. Mai 2014 von Steffen Schwab

Achtklässler in der Junior-Ingenieur-Akademie

Statt Erdkunde und Spanisch stehen Werkstofftechnik und technische Mechanik auf dem Stundenplan

 „Ganz schön hell.“ Alle sechs Minuten wird hier so viel Strom verbraucht wie in einem Vier-Personen-Haushalt im ganzen Jahr. Die Achtklässler, die vor der Tür warten, müssen sich mit dem Bericht ihres Mitschülers begnügen, die den Elektrolichtbogenofen in Aktion gesehen haben. „Wir dürfen jetzt nicht mehr rein“, sagt Jürgen Schoppmeier. Eine neue 130-Tonnen-Ladung Schrott wird nach und nach zum Schmelzen eingefüllt, das Chargieren erfordert Sicherheitsvorkehrungen. „Tut mir leid.“

Kooperation mit Uni und Firmen

Die Gäste aus Stift Keppel nehmen es gelassen. Sie sind nicht zum ersten Mal hier bei den Deutschen Edelstahlwerken (DEW). Und auch nicht zum letzten Mal. Die 23 Jungen und Mädchen sind die Junior-Ingenieur-Akademie — am Wochenende werden sie mit 13 anderen Schulen in das bundesweite Netzwerk der Akademien aufgenommen, die von der Telekom-Stiftung gefördert werden. Während die anderen montags in der fünften und sechsten Stunde Spanisch oder bilingual lernen — „Erdkunde auf Englisch“, heißt das im Schülerjargon –, stehen für sie die Ingenieurwissenschaften auf dem Stundenplan.

Jürgen Schoppmeier ist Ausbilder in der mechanischen Werkstatt. Verfahrens-, Zerspanungs- und Konstruktionsmechaniker lernen hier zum Beispiel ihren Beruf, Maschinen- und Anlagenführer und Teilezurichter. „Karrierewerkstatt“ nennen die Deutschen Edelstahlwerke diese Abteilung. „Vielleicht“, sagt einer der Achtklässler, wird er ja mal Ingenieur. „Wir gucken uns das erst mal an.“ Jürgen Schoppmeier ist ihnen da ein guter Begleiter. „Wir kaufen Schrott und machen daraus Stahl“, erklärt er zum Beginn des Rundgangs. Dann gibt es ein paar Grundbegriffe, was eine Bramme ist und was man unter einem Knüppel versteht. Und Aufforderungen zur Vorsicht: „Die Teile können noch sehr heiß sein.“ 600 Grad — das ist die Pizza aus dem Backofen. Mal drei. Damit es jeder versteht.

„Wir wollen die jungen Leute gewinnen“, sagt Dr. Heinz Hopfenziz, „das so interessant wie möglich machen, nicht mit theoretischem Wissen abstoßen.“ Bevor er in den Ruhestand ging, war der promovierte Industriewissenschaftler 16 Jahre lang für die Unternehmensleitung der SMS Siemag tätig. Das Hilchenbacher Unternehmen ist, neben Ejot und der Uni, Kooperationspartner der Akademie. In der Klasse übernimmt Dr. Hopfenziz den Ingenieur-Part, Werkstofftechnik steht gerade auf dem Programm. Physiklehrer Markus Diehl führt die Jugendlichen gerade in die technische Mechanik ein. Die 23 Junior-Ingenieure sprinten durch die Naturwissenschaften. „Das merkt man schon, wenn man im normalen Chemieunterricht ist“, sagt Fabian. Meike gefällt die Verbindung von Unterricht am Montag und den Exkursionen an den Mittwochnachmittagen, auch an denen, an denen sie sonst keinen Unterricht hätten: „Es ist irgendwie interessanter, wenn man das so direkt mitkriegt.“ Auch das ist ein Ziel der Akademie: „Dass der Bezug zu dem in der Schule zu erwerbenden Wissen klar wird“, sagt Schulleiterin Sibylle Schwarz. Für Fynn Leon ist das nicht neu: Sein Cousin hat hier gelernt, sein Onkel arbeitet bei einem DEW-Auftragsunternehmen und hat den Kontakt von Keppel nach Geisweid vermittelt.

Auf der Bühne über der Stranggussanlage sind Dutzende Handy-Kameras gezückt: Gleich gleitet der glühende Knüppel unter ihnen vorbei – ein Höhepunkt auf dieser Exkursion, in der Technik fasziniert. Wie zum Beispiel auch die Loks, die ganz ohne Lokführer Züge durchs Gelände schieben, natürlich nicht von Geisterhand, sondern per Funk gesteuert.

Stoff wie im Grundstudium

Bei Markus Diehl müssen die Schülerinnen und Schüler wie in jedem anderen Fach Hausaufgaben machen, Klausuren schreiben und gute Noten erarbeiten. „Für die Schüler ist das sicherlich anspruchsvoll“, weiß der Physiklehrer, „aber das Interesse ist so groß, dass sie sich da auch durchkämpfen.“ Die Theorie ist nicht ohne – fachlich, so schätzt Markus Diehl, „das, was Ingenieure im Grundstudium machen.“ Aber dann ist da ja auch noch die Praxis. Nachgedacht wird über die Einrichtung einer mechanischen Werkstatt. Und über Pneumatik-Lehrarbeitsplätze, an denen die Jugendlichen Schaltungen bauen und direkt ausprobieren können. Ohne Strom und Flüssigkeiten, nur mit Luft. „Da tut sich gleich was“, freut sich Dr. Heinz Hopfenziz über den postwendenden Lerneffekt. Und gefährlich ist es trotzdem nicht.

Draußen auf dem Gleis stehen die mit den Halbzeugen, den Edelstahlstangen, beladenen Güterwaggons. „Das ist das, womit die Deutschen Edelstahlwerke ihr Geld verdienen“, sagt Schoppmeier. Und was dann daraus wird? Der Ausbilder entscheidet sich für ein Beispiel, das die Junior-Akademiker mit Sicherheit nicht vergessen: „Wenn ihr mal irgendwann den Blinddarm rausgenommen bekommen solltet, könnte das Material, aus dem das Skalpell hergestellt wird, von uns sein.“

Steffen Schwab